Eigentlich war es wie jeden Tag: Nach 400 Metern geht das Philisophieren los, lange Runde, halblange Runde oder doch nur kurze Runde? Schauen wir mal und sagen erstmal Schlachtensee, vielleicht noch Krumme Lanke, aber heute keinesfalls noch den Grunewaldsee, es ist zu warm. Läufer finden immer irgendwelche Ausreden.

Es ist wieder ein warmes Wochenende, genau wie letzte Woche, als es beim Start des Halbmarathons bereits 25 Grad waren. Als Zeichen des Erfolges verfüge ich über eine ordentliche Sammlung an T-Shirts, die auf dem Rücken jeweils eine Heldentat dokumentieren. So ist es heute auch der besagte Halbmarathon, der stolz zur Schau gestellt wird. Es war Janas schlimmster Lauf, denn sie war bei der Hitze schon nach sechs Kilometern erledigt. Mein Beschützerinstinkt funktionierte jedoch tadellos und ich brachte sie dennoch ins Ziel, auch wenn die Zeit völlig indiskutabel war. Die spielt ohnehin selten eine Rolle, wenn Vater und Tochter zusammen laufen.

Als ich am Schlachtensee die Fischerhütte passiere, höre ich lautes Schnaufen hinter mir. Wahrscheinlich einer dieser Läufer, die meinen, man müsse sie schon kilometerweit vorher hören, damit man schon mal scharf rechts läuft. Ich erhöhe meine Geschwindigkeit nicht unbeträchtlich, eigentlich zu hoch, wenn ich noch einmal komplett um den See will. Das Schnaufen wird lauter und holt mich doch tatsächlich ein. Als er neben mir ist, fragt er: "Und? Wie war es bei dir?". Er hatte natürlich auf meinem Rücken gelesen, was ich letztes Wochenende gemacht habe. "Schrecklich!" antworte ich, "viel zu warm!" "Bei mir ging's, 1:30". Schluck, ich bin fast eine Stunde langsamer gewesen. "Wenn ich dich nicht gerade gesehen hätte, wäre Schluss gewesen, ist meine 10. Runde." Ich bin, freundlich ausgedrückt, etwas irritiert: "äh, wie 10. Runde?". Er antwortet, während wir in einem Affentempo um den See jagen: "Ich muss für den Rennsteig trainieren und Kilometer schruppen!". In meinem Kopf rechnet es: Wenn das seine zehnte Runde ist, dann ist er schon längst jenseits der Marathonstrecke, ich bin noch auf der ersten ... "Was ist auf dem Rennsteig?", frage ich. "70 km mit insgesamt 2000 Höhenmetern!", antwortet er, als sei das völlig normal. Ich denke, der hat wie alle Läufer ein Rad ab ...

Während wir weiter um den See rasen, mit einer Geschwindigkeit, die viel zu hoch für mich ist, fängt mein Hirn schon an zu philosophieren: Wenn ich so weiterlaufe, kann ich mich an der S-Bahn gleich auf die Bank legen, nach Hause würde ich es dann nicht mehr schaffen. Beim Laufen berichten wir uns gegenseitig unsere Heldentaten und dass der New-York-Marathon noch eine Option wäre, aber die Straßen sollen so schlecht sein. "London ist ganz interessant", meint er "Habe ich letztes Jahr gemacht." und stellt mehr fest, als dass er fragt: "Und sehen wir uns beim Berlin-Marathon?". "Klar!", antworte ich, "Hat sich meine Tochter zum 30. Geburtstag gewünscht, einmal mit mir den Marathon". Er findet so ein Geschenk völlig normal, Läufer eben ...

Das Tempo! Ich muss mir was einfallen lassen; ich kann doch nicht einfach sagen, dass es mir zu schnell ist. Also überlege ich, kurz nachdem wir das andere Ende des Sees umrunden und sage gleich an der ersten Treppe ."Tut mir leid, aber ich _muss_ hier hoch!". "Ah, kein Problem", sagt er und noch zum Schluss: "Und danke, dass _DU_ mich noch eine Runde um den See mitgenommen hast, alleine hätte ich das nicht mehr geschafft". Großzügige Antwort meinerseits: "Das geht schon in Ordnung". Und sofort nachdem er aus meinem Blickfeld verschwand, stellte ich das Laufen ein, ging die Treppen zu Fuß hoch und fing erst dann wieder gaaaaanz langsam zu traben an.


Zurück 2011-07-07